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Trotz Fiebers von Storkow nach Eupen zur Lesung angereist

Beeindruckende Lit.Eifel-Lesung mit Angelika Klüssendorf –Vom harten Arbeitsalltag einer erfolgreichen Schriftstellerin

Eupen-Hertogenwald – Etwa 700 Kilometer liegen zwischen Hertogenwald, dem Waldgebiet bei Eupen und der kleinen Stadt Storkow in Brandenburg. Von dort reiste die Schriftstellerin Angelika Klüssendorf per Bahn in die ostbelgische Eifel, um im Bistro des Campingplatzes Hertogenwald für die Lit.Eifel aus ihrem Buch „April“ zu lesen. Allein für die lange Anreise zur einzigen Lesung in der Region – nach einer Übernachtung in Eupen ging es gleich zurück nach Storkow – gebührt ihr Respekt. Dass sie den Termin trotz fiebrigem Infekt mit heftiger Mittelohrentzündung nicht platzen ließ, sondern sich tapfer mit Wollmütze – „wegen der Ohrstöpsel mit dem antibiotischen Zeugs“ – vor das Publikum setzte, um die „schätzungsweise 65. Lesung in diesem Jahr“ zu geben, war schon eine besondere Leistung. Dass Disziplin offenbar zu ihren Stärken zählt, darauf ließ auch ihre spätere Schilderung ihrer Arbeitsweise als Autorin schließen.

Sehr selbstsicher einerseits, aber angenehm unprätentiös auf der anderen Seite, las sie vor und antwortete auf die Fragen der Zuhörer und von Guido Thomé, Pressereferent im Kabinett von Isabelle Weykmans, Ministerin für Kultur, Beschäftigung und Tourismus in der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens (DG), der sie willkommen hieß. Selten habe er so gerne ein Buch gelesen, in dem es so wenig zu lachen gebe, kündigte Thomé Angelika Klüssendorfs Buch „April“ an. Dabei handelt es sich um die Fortsetzung ihres von der Kritik als literarisches Meisterwerk gelobten Pubertätsromans „Das Mädchen“. Im ersten Buch noch namenlos, nennt sich das Mädchen nun April, nach einem Song von Deep Purple, ihrem Lieblingslied. „Aber auch nach dem Monat“, wie die Autorin sagte, denn ähnlich wechselhaft wie der Wettermonat zeigt sich auch das mittlerweile herangewachsene „Mädchen“. „April hat die Gabe, das Glück, das sie gerade empfindet, wieder wegzustoßen, aber auch die Gabe, immer wieder aufzustehen“, beschrieb Klüssendorf den Charakter ihrer Hauptperson.

Mit Wollmütze und Zigarette tapfer trotz Krankheit durch die Lit.Eifel-Lesung: Schriftstellerin Angelika Klüssendorf beeindruckte die Zuhörer im Bistro des Campingplatzes Hertogenwald. Im Hintergrund Guido Thomé, Pressereferent im Kabinett von Isabelle Weykmans, Ministerin für Kultur, Beschäftigung und Tourismus in der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens (DG). Foto: Renate Hotse/pp/Agentur ProfiPress
Mit Wollmütze und Zigarette tapfer trotz Krankheit durch die Lit.Eifel-Lesung: Schriftstellerin Angelika Klüssendorf beeindruckte die Zuhörer im Bistro des Campingplatzes Hertogenwald. Im Hintergrund Guido Thomé, Pressereferent im Kabinett von Isabelle Weykmans, Ministerin für Kultur, Beschäftigung und Tourismus in der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens (DG). Foto: Renate Hotse/pp/Agentur ProfiPress

In der glasklaren und unsentimentalen Sprache, die ihr die Literaturkritiker durchweg wohlwollend für „Das Mädchen“ bescheinigten, ist auch der sich nahtlos anschließende, aber dennoch eigenständige Adoleszenzroman „April” gehalten. Dass hinter dieser Formulierungskunst harte Arbeit steckt, verschweigt sie dem Eupener Publikum nicht: „Ich stehe morgens um sieben auf, schreibe, mache Mittagspause, schreibe weiter. Am Ende eines Acht-Stunden-Tages bin ich froh, wenn ich dann eine Seite geschrieben habe.“ „Und die steht dann noch lange nicht“, deutete sie die folgenden zahlreichen Überarbeitungen an. „Gefühlt 1,83 Euro“ betrage ihr Stundenlohn als Schriftstellerin.

Ist die Kindheit des „Mädchens“ geprägt von der Unberechenbarkeit der Mutter, deren Gewaltausbrüchen und Männergeschichten und dem Heimaufenthalt, beginnt das erste Kapitel mit dem Einzug der mittlerweile 18-jährigen April in das Zimmer, das ihr die Jugendhilfe zugewiesen hat. Mit einer angenehmen, gut zu lauschenden Stimme schildert Angelika Klüssendorf, wie sich ihre Heldin im Leipzig der späten 70er-Jahre zurechtzufinden versucht. April verspürt eine dunkle Übellaunigkeit, „das, was man heute Depression nennt, aber das wusste sie damals nicht“, so die Autorin. Der Selbstmordversuch misslingt, April landet in einer psychiatrischen Klinik, wo ihr der Mitpatient David verrät, wie er seinem Leben ein sicheres Ende zu setzen gedenkt: Er will mit einer Leiter zur Mauer fahren und sich erschießen lassen. „Das könnte funktionieren“, denkt April, „für so etwas gibt es einen Schießbefehl.“

Es folgen Auszüge von Aprils Schwangerschaft, einem erwartungsvollen, aber enttäuschenden Besuch bei der herzlosen Mutter und Aprils Leben mit Hans und dem gemeinsamen Sohn Julius. Wie im Buch, schließt Angelika Klüssendorf auch ihre Lesung in Eupen mit der Ausreise der kleinen Familie in den Westen. Doch das erträumte Gefühl von Freiheit stellt sich nicht ein, stattdessen sieht sich April einem Wust von Bürokratie ausgesetzt und muss Fragen nach möglichem Einblick in Militärgeheimnisse beantworten.

Derzeit schreibe sie am dritten Buch, das die geplante Trilogie vervollständigen und April als erwachsene Frau, die Schriftstellerin ist, beschreibt, gab Angelika Klüssendorf am Ende bekannt. Es sei ein Entwicklungsroman mit noch unbekanntem Ausgang: „Ich weiß noch nicht, wohin April mich führt.“ Schon beim Schreiben von „April“ sei sie der Frage nachgegangen, wie beschädigt ein Mensch aus einer Kaspar-Hauser-Kindheit, wie das „Mädchen“ sie verlebt habe, herausgehe. „Wie verhält sie sich als Mutter, wie als Erwachsene“, darum gehe es im dritten Buch.

„Alles, worüber ich schreibe, ist mir sehr vertraut“, beantwortete die Autorin die Frage nach dem autobiographischen Anteil ihrer Romane. Parallelen zu ihrem Leben sind vorhanden: Angelika Klüssendorf, die 1958 in Ahrensburg geboren wurde, lebte ebenfalls in Leipzig, wo sie eine Ausbildung zur Zootechnikerin machte, in einer Melkanlage tätig war und – wie April – im VEB Starkstromanlagenbau Leipzig/Halle und als Archivarin im Museum für Völkerkunde arbeitete. 1985 übersiedelte sie mit ihrer Tochter nach West-Berlin. 1987 erhielt sie ein Stipendium des Deutschen Literaturfonds, dem 1989 ein Arbeitsstipendium des Berliner Senats folgte. Sie war in dessen erster Ehe mit dem im Juni dieses Jahres verstorbenen Journalisten und FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher verheiratet. Vor kurzem wurde Klüssendorf mit dem mit 15.000 Euro dotierten Hermann-Hesse-Literaturpreis ausgezeichnet, einer von zahlreichen Auszeichnungen in den vergangenen zehn Jahren.

„Dürfen wir sie bei der Lit.Eifel auch mit ihrem dritten Buch begrüßen“, erkundigte sich Guido Thomé abschließend. Die Antwort dürfte ihn und die Zuhörer gefreut haben: „Sehr gerne!“

pp/Agentur ProfiPress