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Jüdischer Opfer gedacht

Rund 120 Menschen zogen von Station zu Station, um an die Reichspogromnacht zu erinnern – Sie halten die Erinnerung wach an die jüdischen Mitbürger, die Hab und Gut, ihre Heimat oder ihr Leben verloren – Schüler des Gymnasiums Am Turmhof und der Gesamtschule gestalteten zwei der Stationen – Luftballons mit dem Schriftzug „Freiheit“ für die getöteten jüdischen Kinder aus Mechernich und Kommern – Ausstellung zu Ausschwitz im Dietrich-Bonhoeffer-Haus

Mechernich – Die Grabkerze, die vor dem Gedenkstein aufgestellt war, war ein Licht im Dunkel der Nacht. Rund 120 Menschen waren in die Rathergasse gekommen, um bei einem Rundgang gemeinsam an die  Reichspogromnacht vor 80 Jahren und der jüdischen Opfer zu gedenken. Es war eine bewegende Stille. Die Worte des Bürgermeisters Dr. Hans-Peter Schick waren Mahnung, rüttelten auf und berührten zugleich.

Zunächst begrüßte Mit-Organisator Marius Kremer die Teilnehmer: „Ich freue mich, dass es jedes Jahr mehr Leute werden, das ist eine schöne Entwicklung.“

Vier Stationen

Vier Stationen lagen auf dem Weg des stillen Rundgangs. An der Rathergasse (Ecke Bruchgasse/Turmhofstraße) war der Startpunkt, von da aus zogen die Menschen zum Gymnasium Am Turmhof. Im Foyer der Schule verlasen Schüler einen Augenzeugenbericht der Holocaust-Überlebenden Philomena Franz. Im Hintergrund präsentierten sie Bilder auf einer großen Leinwand.

Schüler der Gesamtschule Mechernich gestalteten die dritte Station hinter der katholischen Kirche. Sie erzählten von ihrer persönlichen Begegnung mit fünf russischen Juden, die verfolgt und vertrieben nun das erste Mal nach Deutschland zurückkehrten. In Erinnerung an die acht getöteten jüdischen Kinder aus Mechernich und Kommern ließen sie schwarze Luftballons mit dem Schriftzug „Freiheit“ in die Luft steigen. „Sie haben ihnen damit symbolisch die Freiheit gegeben, die die Kinder niemals haben konnten“, so Schulleiterin Dagmar Wertenbruch.

Mit einem Rundgang gedachten die Menschen in Mechernich der Reichspogromnacht. Foto: Kirsten Röder/pp/Agentur ProfiPress

Zuletzt ging es zum Dietrich-Bonhoeffer-Haus, in dem eine Ausstellung über Ausschwitz besichtigt werden konnte.

Die Rathergasse (Ecke Bruchgasse/Turmhofstraße) war bewusst als Startpunkt gewählt worden, so Kremer: „Wir treffen uns heute an dieser Stelle, weil der alte Mechernicher Gedenkstein hier wieder aufgestellt worden ist.“ Unweit davon stand die Mechernicher Synagoge – von 1838 bis 1938. Das Gebäude war schwer beschädigt und später abgerissen worden.

Gedenkstein erinnert an jüdische Gemeinde

An ihrer Stelle erinnert nun ein Gedenkstein an das Bethaus und ebenso an die jüdische Gemeinde, die in Mechernich vergleichsweise groß war. Die Straße, die vor kurzem als Zufahrt zu den neu errichteten Wohnhäusern fertiggestellt worden ist, wurde außerdem „An der Synagoge“ getauft.

Der 9. November 1938 sei ein Schicksalstag in der deutschen Geschichte, führte Bürgermeister Dr. Hans-Peter Schick in seiner Ansprache am Gedenkstein aus.

Mehrere hundert Synagogen wurden in der Nacht zum 10. November in Brand gesetzt, mindestens 80.000 jüdische Geschäfte und Häuser zerstört, berichtete Schick. Zwischen 60 und 80 jüdische Mitbürger fanden den Tod. In den Tagen darauf wurden über 30.000 jüdische Männer verhaftet und in die Konzentrationslager Dachau, Buchenwald und Sachsenhausen verschleppt.

Aber was geschah in Mechernich? Darüber gebe der Regionalhistoriker Hans-Dieter Arntz Auskunft, den der Bürgermeister zitierte: „Die Zerstörungen und Synagogen-Brände, die auch in den Altkreisen Euskirchen und Schleiden stattfanden, unterschieden sich oft deutlich von denen in den Großstädten.“ Während sich in den anonymen Stadtzentren tatsächlich Auswärtige austobten, seien es auf dem Lande und in der Eifel meist Einheimische gewesen, die jeder kannte. Daher sei dort die Brutalität oft persönlich und derart brutal, dass selbst die Nationalsozialisten drakonische Strafen verhängten.

Eifelspezifische Variante der Kristallnacht

In Mechernich sei es eine Clique von 15 einheimischen SA-Männern, die gemeinsam mit dem damaligen fanatischen Amtsbürgermeister und dem Ortsgruppenleiter Horden von Westwallarbeitern und Anwohnern aufhetzte, so dass eine besonders eifelspezifische Variante der Kristallnacht praktiziert werden konnte.

Anlass, nachdenklich zu werden

„Das sollte uns Anlass geben, nachdenklich zu werden. Es waren eben nicht, wie gerne gesagt wird, die Auswärtigen oder die Anonymen, die an den Verbrechen und Ausschreitungen der Reichspogromnacht beteiligt waren, sondern auch Nachbarn“, sagte Schick und fragte: Wie konnte ein Volk, das sich gerne als die Kulturnation Europas bezeichnet, nur so tief sinken?

Schick mahnte, die Zahl rechtsextrem motivierter Straftaten in Deutschland nehme stetig zu. Nicht nur die Brutalität habe sich gesteigert, sogar im deutschen Bundestag wie auch in den Landesparlamenten sitzen Volksvertreter, die den Nationalismus und Antisemitismus verharmlosen. Schlimm sei, dass es ihnen gelinge, zunehmend breite Wählerschichten anzusprechen. Umso dringlicher sei es grundlegende und gemeinsame Initiativen zu entwickeln. Damit die Geschichtsbücher nicht wieder über ein weiteres dunkles Kapitel in Deutschland schreiben können.

pp/Agentur ProfiPress