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Diskussion über den Zustand des Landes

Lit.Eifel-Veranstaltung mit dem Journalisten, Autoren und Philosophen Jürgen Wiebicke im Heilsteinhaus in Einruhr über dessen aktuelles Buch „Zehn Regeln für Demokratie-Retter“

Simmerath-Einruhr – Jürgen Wiebicke mag Gegenwind. Er ist niemand, der eine Meinung, die sich von seiner unterscheidet, unkommentiert stehen lässt, der sie ignoriert. Viel mehr hört er zu, redet darüber – im besten Fall für den Andersdenkenden stimmt Wiebicke ihm sogar zu und ändert seine eigene Meinung, auch wenn ihm das schwerfällt.

Super-Sonntag-Redaktionsleiterin Patricia Gryzik interviewte Jürgen Wiebicke im Heilsteinhaus in Einruhr. Foto: Thomas Schmitz/pp/Agentur ProfiPress

Wogegen sich Wiebicke aber wehrt, sind Verallgemeinerungen. „Die“ Politiker gibt es ebenso wenig wie „die“ Medien oder „die“ Schulen. Für eine ordentliche Diskussion will der Journalist und Autor dann Beispiele genannt haben. Abstrusen Behauptungen, dass es „von oben ein Interesse an dem Zustand des Bildungssystems wie es ist“ gibt, lehnt er ebenso ab, wie Berichte, Medien seien alle von Angela Merkel gesteuert. „Ich bin jetzt seit 25 Jahren Journalist und mir hat noch nie ein Politiker vorgeschrieben, was ich zu sagen habe“, sagte der Moderator der WDR-5-Sendung „Das philosophische Radio“ und Veranstalter des Philosophie-Festivals „Phil.Cologne“ jüngst in Einruhr.

Auf Einladung der Lit.Eifel war er ins Heilsteinhaus gekommen, um über sein Buch „Zehn Regeln für Demokratie-Retter“ zu sprechen. Dies geschah im Dialog mit Moderatorin Patricia Gryzik, Redaktionsleiterin der Wochenzeitungen Super Sonntag und Super Mittwoch. Mehr als 50 Gäste hörten nicht nur gebannt zu, sondern wurden auch dazu angeregt, ihre Meinungen zu äußern. Begrüßt worden war Wiebicke von Simmeraths stellvertretendem Bürgermeister Bernd Goffert.

Der Autor, Philosoph und Journalist Jürgen Wiebicke war im Heilsteinhaus in Einruhr zu Gast. Foto: Thomas Schmitz/pp/Agentur ProfiPress

Doch bevor Wiebicke, überspitzt formuliert, die Demokratie retten konnte, wollte er sich ein Bild davon machen „was in unserem Land gerade passiert“. Weil das nicht vom heimischen Schreibtisch aus geht, begab er sich im Sommer 2015 auf Wanderschaft. Von Köln zum Niederrhein durchs Ruhrgebiet bis nach Münster. Unterwegs sprach er mit Menschen aus allen Schichten, daraus entstand das Buch „Zu Fuß durch ein nervöses Land: Auf der Suche nach dem, was uns zusammenhält“. „Ohne dieses große Buch hätte ich das kleine nicht schreiben können“, gesteht Wiebicke mit seiner leicht heiseren, angenehmen Radiostimme.

Erkannt hat er eine Gesellschaft, der die Leitplanken rechts und links von ihrem Weg abhandengekommen sind, die ein Gefühl von Sicherheit verloren hat. Beschleunigung bestimme das Leben, „aber wir brauchen Langsamkeit“. Dabei hat er auch ganz persönliche Erfahrungen gemacht. „Ich musste klarkommen mit dem Verzicht auf Planung und Taktung und musste lernen, mich selbst in der Einsamkeit auszuhalten.“

Mehr als 50 diskussionsfreudige Zuschauer verfolgten den Ausführungen des Kölners. Foto: Thomas Schmitz/pp/Agentur ProfiPress

Ein Angelhaken als Lebensinhalt

Gespräche zu führen fällt dem erfahrenen Journalisten nicht schwer. In besonderer Erinnerung ist ihm die Begegnung mit einem Angler geblieben. Worüber er nachdenke, wollte Wiebicke von ihm wissen. „Über das Leben“, so die Antwort. Und dieses Leben bestand zu dem Zeitpunkt nur aus der Frage, welcher Angelhaken der richtige sei. Entschleunigung als Lebensinhalt – beneidenswert.

Jürgen Wiebicke las auch Passagen aus seinem aktuellen Buch „Zehn Regeln für Demokratie-Retter“. Foto: Thomas Schmitz/pp/Agentur ProfiPress

Doch Wiebicke hat auch viele Menschen getroffen, die desillusioniert waren, weil sie denken, nichts verändern zu können, besonders als Einzelperson nicht. „Das ist hier in Einruhr vielleicht noch anders“, nahm er an, weil er die Erfahrung gemacht hat, dass Engagement auf dem Land oft besser funktioniert als in der Anonymität einer Großstadt.

Das Aha-Erlebnis für das „neue“ Buch war dann die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten. Innerhalb der Redaktion hatten Fatalismus und Pessimismus die Oberhand gewonnen. Jürgen Wiebicke wollte dem etwas entgegensetzen und formulierte eben die „Zehn Regeln für Demokratie-Retter“. Den Titel findet er selbst „sehr befremdlich“, schließlich sei er nicht Moses mit den Gebotstafeln, auch wenn ein Zuhörer in Einruhr den Eindruck hatte, einer Predigt in der Kirche beizuwohnen.

Simmeraths stellvertretender Bürgermeister Bernd Goffert begrüßte Jürgen Wiebicke und die Zuschauer. Foto: Thomas Schmitz/pp/Agentur ProfiPress

Andere Einwürfe ließen sich wegdiskutieren. Auf den Vorwurf, heutzutage gebe es zu viele Zuhörer als Folge einer „großen Verschwörung“, entgegnete Wiebicke, dass niemand in die Passivität gedrängt werde. Die Äußerung, dass es der Jugend zu gut gehe, sodass sie am Status Quo nichts ändern wolle, ließ der Journalist auch nicht gelten: „Die Klage über Jugendliche ist 2500 Jahre alt.“ Außerdem mache er in Köln gerade das genaue Gegenteil aus, die Initiative „Köln spricht“, die sich als „Festival der Demokratie“ versteht, hat regen Zulauf. „Ich wollte da privat hin, doch da war es zu voll, ich bin nicht reingekommen. Dazu musste ich schon dort einen Vortrag halten“, erzählte Wiebicke, der sich an eine weitere aufgestellte Maxime nicht hielt.

„Nach 90 Minuten ist alles gesagt“, lautet sie – in Einruhr jedoch diskutierte er 15 Minuten länger mit den Gästen und erfüllte zum Abschluss auch Autogrammwünsche. Das beweist, dass es viel Redebedarf gab, auch in der beschaulichen Eifel. Es beweist aber auch, dass diese intensive und diskussionsfreudige Lit.Eifel-Veranstaltung eine sehr gelungene war. Zum einen, weil sie einen Nerv traf, zum anderen, weil es sich mit Jürgen Wiebicke vortrefflich diskutieren ließ.

Zum Abschluss signierte Jürgen Wiebicke noch seine Bücher. Foto: Thomas Schmitz/pp/Agentur ProfiPress

pp/Agentur ProfiPress