„Bleigefahr ist nicht akut“
Pressekonferenz heute in Mechernich: Bodenproben sind schon im Labor, Blutuntersuchungen ab Juni unter wissenschaftlicher Leitung des RWTH-Arbeits-, Sozial- und Umweltmediziners Prof. Dr. Thomas Kraus besonders an Kindern, Schwangeren und früheren Bergleuten auf freiwilliger Basis – Landratsvertreter Manfred Poth: „Keine Gefahr in Verzug, wir reden von Präventionsmaßnahmen“ – Bürgermeister Dr. Hans-Peter Schick: „Dingen auf den Grund gehen, untersuchen und, wenn nötig, Konsequenzen ziehen“
Mechernich – Kreis und Stadt nehmen die Sorgen der Bevölkerung ernst, aber Grund zur Sorge geschweige denn Hysterie gebe es ganz und gar nicht: Das war Tenor einer Pressekonferenz heute im Mechernicher Rathaus, an der unter anderem Bürgermeister Dr. Hans-Peter Schick, Manfred Poth, der Allgemeine Vertreter des Landrats, und Christian Ramolla vom Kreisgesundheitsamt teilnahmen.
„Blei ist ein hochexotisches Thema, Sie finden heute keinen Arzt mehr, der schon mal eine akute Bleivergiftung diagnostiziert hat“, konstatierte beispielsweise Christian Ramolla. Das gelte natürlich auch für das Mechernicher Kreiskrankenhaus. Zu unterscheiden zwischen der akuten sei aber die chronische (= schleichende) Bleivergiftung durch Anreicherung.
„Seit Jahrzehnten keine Vergiftungen“
Aber auch da weise das statistische Bundesamt Blei als Vergiftungsgrund gar nicht mehr auf, sondern nur zusammen mit anderen Schwermetallen wie Kadmium, Zink, Quecksilber und Chrom. Die NRW-Diagnosestatistik führe wegen der geringen Fallzahl nicht einmal Schwermetallvergiftung mehr gesondert auf, die in einem umweltschützerisch so hochentwickelten Land wie Deutschland kaum noch eine Rolle spiele, so Christian Ramolla.
Gleichwohl seien nun von der Stadt Mechernich und dem Kreis Euskirchen neue Blut- und Bodenuntersuchungen angeordnet worden. „Nicht in erster Linie, um die Bedenken aus der Bevölkerung zu differenzieren, sondern um gegebenenfalls auch Maßnahmen zu ergreifen“, so Dr. Hans-Peter Schick. Manfred Poth: „Wobei keine Gefahr im Verzug ist, wir reden von Präventionsmaßnahmen.“
Die frisch entnommenen Bodenproben aus den Neubaugebieten zwischen Mechernich-Nord und Kommern-Süd befinden sich bereits im Labor. Die Ergebnisse werden Anfang April erwartet, so Mario Dittmann, der zuständige Fachbereichsleiter der Stadtverwaltung Mechernich.
Die Blutproben an Freiwilligen – besonders an Kindern, Schwangeren und früheren Kumpels aus Mechernich – sollen Mitte Juni unter der Leitung des Arbeits-, Sozial- und Umweltmediziners Prof. Dr. Thomas Kraus (RWTH Aachen) anlaufen. Mit Ergebnissen rechnen Christian Ramolla und sein Chef Dr. Bernd Ziemer bereits nach den Sommerferien.
„Mechernicher Kinder so klug wie andere“
Bürgermeister Dr. Hans-Peter Schick berichtete von Untersuchungen im Bleigebiet Brilon im Hochsauerlandkreis, wo 2013 230 Menschen untersucht worden seien – ohne brisante Ergebnisse im Hinblick auf akute oder chronische Vergiftungen.
Journalisten fragten Christian Ramolla nach den Symptomen leichter Bleivergiftungen, doch die seien zu unspezifisch, um sie klar erkennen zu können. Ramolla: „Mattigkeit, Müdigkeit und ein bisschen Kopfschmerzen haben die meisten Menschen einmal im Monat – oder auch jeden Montag.“ Die Aufnahme von Blei aus der Atemluft oder aber über Bodenanhaftungen am Essen seien außerdem höchst individuell und lägen zwischen drei und 40 Prozent.“
Blutarmut durch Blei sei in seiner Krankenhauszeit nicht ein einziges Mal festgestellt worden. Jeder Deutsche nehme durchschnittlich 0,16 Milligramm Blei auf – was zu einer Blutbelastung von rund 30 bis 40 Mikrogramm pro Liter führe. Arbeitsmediziner gingen davon aus, dass ab er einer Belastung von 500 Mikrogramm pro Liter Vergiftungserscheinungen auftreten – könnten.
Mechernicher Kinder wiesen auch bei anderen Parametern und in Sachen Intelligenz keinerlei Auffälligkeiten gegenüber Kindern aus anderen Kommunen und bundesweit auf, so Ramolla. Außerdem müsse man bedenken, dass eine dem Blei zugeschriebene Intelligenzminderung allenfalls fünf Prozent betrage, so Christian Ramolla, der Einfluss des Elternhauses auf die kognitiven Fähigkeiten aber bei 40 Prozent liege.
„Wenn man sich in Mechernich an gewissen Spielregeln bezüglich der Nutzung von Wurzelgemüse aus dem Nutzgarten hält und seit den 80er Jahren ministeriell festgelegte Verpflichtungen beim Bauen – zum Beispiel das Abdichten von Sandkästen mit Folien als Grabschutz – beachte, dann lasse es sich in Mechernich wahrscheinlich genauso gut leben wie andernorts“, vermuteten Bürgermeister, Landratsvertreter und Kreismediziner.
Ministerium wartet Mechernicher Proben ab
Mit den Untersuchungen solle aber Gewissheit über die wirkliche Belastung und eventuelle Konsequenzen geschaffen werden, so Manfred Poth. Auch das NRW-Umweltministerium mache seine weiteren Schritte – auch bezüglich einer eventuellen Anpassung der Grenzwerte – von den Ergebnissen der neuesten Mechernicher Untersuchungen abhängig, wie Achim Blindert, der zuständige Abteilungsleiter des Kreises konstatierte.
Bislang halten sich alle Stellen genau an die Vorgaben, die dieses Ministerium vor 30 Jahren als Reaktion auf die damalige Bleidiskussion im Raum Mechernich-Kall erlassen hatte. In die Angriffe gegen Bodenbehörde, Kreis und Stadt hat sich das Ministerium bislang nicht eingeschaltet.
Die alteingesessene Bevölkerung habe nicht erst seit dem „Bleiskandal“ Anfang der 80er Jahre gelernt, mit dem geologisch seit jeher vorhandenen Bleivorkommen im Raum Mechernich zu leben. Er selbst komme aus Bescheid, er sei unweit der Bleigrube „Gute Hoffnung“ von Bleibuir aufgewachsen, so Bürgermeister Dr. Hans-Peter Schick: „Unsere Mutter hat uns beigebracht, die Möhren, die wir aus dem Garten stibitzen, vor dem Essen ordentlich zu putzen und zu waschen . . .“
Er verstehe aber auch die Sorgen der Menschen, vor allem der Familien mit Kindern, die nicht im Bleigebiet aufgewachsen seien. Deshalb gelte es, den Dingen auf den Grund zu gehen, sie zu untersuchen und, wenn nötig, auch Konsequenzen zu ziehen.“
pp/Agentur ProfiPress